Tatortkontrollkommission

unabhängige Kommission zur Untersuchung und Kontrolle der Medialisierung und Visualisierung von Rechtswirklichkeit am Beispiel der ARD-Produktionen "Tatort" und "Polizeiruf 110"

Freitag, 17. Oktober 2008

Kapitalismus und Wissenschaft - Korrupte Geschäfte an der Humboldt-Universität zu Berlin

Tatort am Sonntag, den 31.08.08:
Blinder Glaube (Regie: Jürgen Bretzinger, RBB >>)


Sachverhalt:
Die Kommissare Ritter (Dominic Raacke) und Stark (Boris Aljinovic) haben len Grund zum Feiern, denn sie ertragen sich nun schon mit Jubiläumsreife. Die von Ritter zu diesem Zweck eigens besorgte Flasche Champagner soll über den Dächern Berlins niedergemacht werden. Alkohol in der Dienstzeit? Das kann ins Auge gehen - tut es auch, jedenfalls für Starke, dessen Auge dem Champagner-Korken auf dessen Weg aus dem engen Flaschenhals ins Universum in die Queere kommt. Zum Glück ist die Charité nicht all zu weit entfernt und das blaue Auge wird schnell zum "Dienstunfall mit einem Champagner-Korken". Doch es bleibt keine Zeit zur Erholung, schon ruft wieder ein Leiche:

Katja Manteuffel, Chefärztin der Berliner Uni-Augenklinik, wird ermordet aufgefunden. Die Ermittlungen führen die Kommissare zur Cornea AG, einer Firma, die im Rahmen des streng geheimen Projektes "Phydra" einen revolutionären Netzhaut-Chip entwickelt hat. Dieser Chip wurde kurz nach Katja Manteuffels Ermordung einer blinden Patientin (Anne Kanis) implantiert. Schon bald rückt die Augenchirurgin Mareike Andresen (Judith Engel) ins Visier der Kommissare. Aufgrund der Ermordung von Katja Manteuffel hat sie die aufsehenerregende Operation durchgeführt. Eine einmalige Chance für die Karriere der jungen Ärztin. Aber hat sie dafür gemordet?

Als Ritter und Stark herausfinden, dass die Ermordete eine heimliche Liebesbeziehung mit Tim Nicolai (Justus von Dohnányi), dem Verlobten von Mareike Andresen und Leiter von "Phydra", hatte, gerät auch dieser unter Verdacht. Drohte Katja Manteuffel gegenüber Tim Nicolai damit, seiner Verlobten von dem Verhältnis zu erzählen? Es hätte Nicolais Entlassung aus der Firma bedeutet, denn der Vorstandsvorsitzende der Cornea AG ist Mareikes Vater Manfred Andresen (Jörg Gudzuhn).

Doch damit nicht genug: Von der attraktiven Referentin des Bundesministeriums für Bildung und Forschung Judith Wenger (Gesine Cukrowski) erfährt Ritter, dass das Bundesministerium "Phydra" maßgeblich finanziert. Immer klarer wird, dass der Schlüssel zur Aufklärung im Beziehungsdickicht von Forschung und Wirtschaft verborgen liegt, in dem Profitdenken und knallharte Konkurrenz herrschen. Ritter und Stark müssen ein Geflecht aus Lügen entwirren und stehen am Ende vor einer verblüffenden Lösung.
(den Trailer gibts hier >>)

Bewertung:
Amysant und unterhaltsam, wie das quirrlige Kommissarenduo in Berlin ermittelt, wird ein gleichermaßen spannendes wie brisantes Thema der Verquickung von (öffentlich-rechtlicher, von Steuergeldern finanzierter) Wissenschaft und (gewinnorientierter) Privatwirtschaft problematisiert. Die üblichen Akteure: Universitäten, Wirtschaftskonzerne, Organe der Staatsaufsicht und ihre AkteurInnen - alle kommen sie vor. Und doch schaben die kriminalistischen Ermittlungen nur an der Oberkante, die nach Exzessen sucht, nach individuellen Einzeltätern, welche die Grenzen der Gemeinverträglichkeit übertreten und die große Legende von der "Suche nach Wahrheit und Wissen für ein besseres Leben" nur noch vor sich hertragen, um ihre persönliche Gier zu übertünchen. Das System enger Verzahnung und Abhängigkeit von Wissenschaft und Wirtschaft aber, bleibt unhinterfragt, muss es vielleicht auch bleiben. Dabei lohnt die Frage, wann eine bestimmte Forschung die heiligen Hallen der Universität verlässt, um privatwirtschaftlich oder militärisch weiterbeforscht zu werden - jenseits der Öffentlichkeit und mit anderen Zielen als denen der Wahrheitsstiftung.

Hier soll nicht bezweifelt werden, dass vielfach wichtige Forschungsergebnisse nur dadurch zum Nutzen der Menschheit bzw. in diesem Fall des/der einzelnen Patient/in wurden, dass eine (private) Firma aus der Erkenntnis ein heilendes Anwendungsprodukt hergestellt hat oder dass wichtige Forschungsprojekte an den öffentlichen Forschungseinrichtungen nur durch privatwirtschaftliche Spenden und/oder Public-Privat-Partnerships möglich geworden sind. Es soll aber gefragt werden, warum das so ist?! Der Tatort gibt dafür einen guten Einstieg; freilich gilt es die Rolle der Akteur/innen im System zu hinterfragen, die Zusammenhänge der Institutionen (universitäre Wissenschaft - Staatsaufsicht und -lenkung - Wirtschaft) in ihrer jeweils systemimmanenten Rolle innerhalb einer kapitalistisch funktionierenden Marktwirtschaft zu betrachten. Dabei dürfte eine Rolle spielen, dass sich der Staat aus der Finanzierung von Grundlagenforschung immer mehr heraushält und seinerseits wirtschaftlichen Imperativen folgt. Dadurch bleibt der Wissenschaft kein Schutzraum für eigene Fragestellungen. Mit der Implementation des Wettbewerbs als Lenkungsprinzip der Hochschulorganisation und -finanzierung, wie es der Exzellenzwettbewerb und die Suche/Sehnsucht nach Eliteuniversitäten in Deutschland so anschaulich macht, gehen den Universitäten die eigenen Gründungsmythen verloren. So wirken sie selbst an ihrem Umbau zu bloßen Berufsausbildungseinrichtungen einerseits und zu abhängigen Forschunsinstituten andererseits mit, die der Privatwirtschaft als Abschreibungsmöglichkeit eigener Investitionen ebenso dienlich sind, wie für die Erarbeitung von unwirtschaftlichen Teilprojekten mit staatlichen Mitteln, deren wirtschaftliche Nutzung wiederum der Privatwirtschaft anheimfällt. Wer wollte es ihr nicht gönnen - könnte man einwenden. Schlimm ist dabei nur, dass die mit Steuergeldern finanzierten Fortschritte der Gesundheitsindustrie schließlich vom Verbraucher wieder teuer bezahlt werden müssen.

Das alles in einem Tatort? Unmöglich! Klar, aber - auch das könnte ein Anspruch öffentlich-rechtlichen Fernsehens sein - wenigstens andeuten, dass die Welt komplexer ist, als nur die Summe der Charakterrollen eines Kriminalfalls, dürfte zu erwarten sein. Immerhin lobt die Kommission ausdrücklich die in dieser Hinsicht nicht unüberhörbaren Anspielungen und Wertungen der Kommissare, die auch das Bild wiedergeben, das in der Gesellschaft von Wissenschaft existiert. Um so amysanter für eine an der Humboldt-Universität zu Berlin (HU) agierende Kommission ist es dann zu sehen, wie die Innenaufnahmen der korrupten Chipfirma Cornea AG aus dem HU-Institutsgebäude der Physik in Adlershof stammen. Jenem Standort der Humboldt-Universität, der sich dafür rühmt, dass Universitäts- und privatwirtschaftliche Forschung hier eng zusammen arbeiten (>>).

Zum Verhalten der Kommissare lässt sich abschließend nur anmerken, dass die Behandlung von Verletzungen, die durch Champagner-Korken hervorgerufen werden, nur dann einen Betriebsunfall darstellen, wenn es sich beim Verzehr des Getränks um eine dienstliche Handlung handelt, also z.B. ihm Rahmen eines Empfangs für den neuen Abteilungschef während der Dienstzeit etc. Im vorliegenden Fall ist der Vorgang jedoch eher als Versicherungsbetrug im Amt zu bewerten. Dass darüberhinaus Kommissar Ritter in fast jeder Folge eine Affaire mit Zeuginnen und/oder Verdächtigen unterhält, mag ein vom Drehbuch als tragisch inszenierter Moment in Ritters Persönlichkeit sein. Dieser Umstand mutet aber doch reichlich unprofessionell für Polizeiarbeit an und zeigt nur, wie wenig Leben und Realitätswahrnehmung manchen BeamtInnen außerhalb ihres Dienstes bleibt.

Kind zu ersteigern

Tatort vom Sonntag, 06.07.08:
Ausweglos (Regie: Hajo Gies, MDR >>)

Sachverhalt:
In der Leipziger Innenstadt wird am frühen Morgen die Leiche einer jungen Frau gefunden. Susanne Körting wurde brutal erschlagen. Ihr Mann Manuel (Hinnerk Schönemann) erzählt den Hauptkommissaren Eva Saalfeld (Simone Thomalla) und Andreas Keppler (Martin Wuttke), dass er sich vor kurzem von Susanne getrennt hätten. Als sich bei der Obduktion herausstellt, dass Susanne Körting wenige Tage vor ihrer Ermordung ein Kind entbunden hat, gerät ihr Ehemann, der die Schwangerschaft verschwiegen hat, unter Verdacht.

Die Kommissare gehen der gescheiterten Ehe auf den Grund und erfahren, dass Susanne Körting es mit der ehelichen Treue nicht so genau genommen hat. Mit ihrem ehemaligen Arbeitgeber Jörg Grabosch (Matthias Matschke) soll sie sich auf einer Betriebsfeier vergnügt haben, und auch ihr letzter Chef, der verheiratete Peter Marquardt (Oliver Stokowski), der sie beim Kauf eines Kinderwagens begleitet hatte, rückt ins Visier der Ermittler. Die Suche nach dem oder der Mörder/in wird schnell zur Suche nach dem Erzeuger des noch immer verlorenen Babys. Nach diesem wird landesweit gefahndet, doch es fehlt jede Spur, und die Befürchtung, es könne getötet worden sein, lässt die Kommissare, die aus der Zeit ihrer gemeinsamen Ehe ebenso die Erfahrung eines verlorenen Kindes teilen, nicht ruhen.

Derweil ereignet sich Erstaunliches: Beim Besuch des behandelnden Frauenarztes der Toten (Andreas Borcherding) behauptet dieser, Susanne Körting sei bei ihm nicht als Schwangere in Behandlung gewesen. Auf dezidierte Nachfrage der Beamten behauptet dieser, sie könne auch bei keinem anderen Arzt gewesen sein, wie er durch Nachfrage bei der Krankenkasse in Erfahrung gebracht haben will.

Zwischendurch rücken die Kommissare zur Kindesrettung aus: Eine Frau meldet, aus der Wohnung ihres als Single lebenden Nachbars dringe ununterbrochenes Kleinkindgeschrei. Die Tür ist schnell aufgebrochen, die skuril anmutende Wohnung durchsucht. Schließlich finden sie das Kind wohlbehalten und wollen sich gerade auf den Weg ins Revier machen, als die Besitzer der Wohnung zurückkehren. Noch ehe sie sich versehen, sollen sie festgenommen werden. Doch das ganze stellt sich als großer Irrtum heraus. Denn der Junggeselle hat Besuch von seiner kleinen Schwester und deren Neugeborenen und war mit ihr "nur für ein paar Minuten Kaffeetrinken gegangen".

Die Nerven liegen blank. Die Ermittler verhören erneut Peter Marquardt und dessen Frau. Diese haben auch gerade ein neugeborenes Kind und einen ebensolchen Kinderwagen wie er auch am Tatort gewesen sein könnte.

Bald stellt sich heraus, dass die Tote lediglich als Leihgebärende der Marquardts dienen sollte. Darauf kommen die Ermittler durch einen Hinweis der Sprechstundenhilfe des Arztes, die bald selbst tot aufgefunden wird. Jemand hatte sie von einer Brücke gestoßen. Offenbar wollte Susanne Körting ihr Kind nicht herausgeben oder war ihr das von den Marquardts in Aussicht gestellte Geld zu wenig, das ihr (Ex-)Mann zum Erhalt seiner schlecht gehenden Tischlerei so dringend hätte brauchen können...

Bewertung:
Die Rolle des Kommissar Keppler scheint dem Schauspieler Martin Wuttke wie auf den Leib geschrieben - oder ist es umgekehrt? Dabei ist der Konflikt mit strafprozessualen Ermittlungsvorschriften quasi vorprogrammiert. Eine Charakter-Beschreibung, wie sie im Internet zu finden ist, bringt das ganz treffend auf den Punkt:
Keppler benimmt sich überall, als wäre er zu Hause. Er bringt es fertig, den Inhaber einer Wohnung glatt zu übersehen, um sich umso geschäftiger gleich und ohne zu fragen über eine Schublade, ein Fotoalbum oder auch einen Kochtopf herzumachen, nur um zu schauen,was drinnen ist. Wohl kein zweiter Polizeibeamter wird so oft verwundert nach einem Durchsuchungsbeschluss gefragt wie er.Häufig antwortet Eva für ihn:„Seien Sie froh, dass er keinen hat!“ Denn eine Durchsuchung führt Keppler auf seine Art durch: professionell, akkurat, penibel, detailversessen. Aber meistens „guckt er ja bloß mal“ und entschuldigt sich auch sofort dafür, wenn er damit jemandem zu nahe tritt – was häufig der Fall ist.
Immerhin, die Auseinandersetzung mit dem auch für Polizeibeamte verbotenen Ermittlungsmethoden findet statt – vor laufender Kamera quasi. Doch erzeugt das nicht auch eine Atmosphäre, in der die Zuschauer/innen nur hoffen können, dass die Wohnungsbesitzer etc. klein beigeben und in die Wohnungs"umschau" einwilligen?! Wie nervig wäre es, wenn die Kommissare jetzt erst einen Durchsuchungsbeschluss holen müssten, wo es doch gerade so spannend ist. Auch wenn die Mühen des Antragschreibens, Begründens und Prüfens dem Publikum erspart bleiben, ist für einen Krimi doch nur entscheidend, dass es möglichst schnell und spannend voran geht. Dem konnte sich auch die Kommission nicht immer ganz entziehen und daher scheint es um so dringlicher darauf hinzuweisen, dass es eben nicht genügt, etwas Verbotenes als solches zu bezeichnen und damit den Zuschauer zum Mitverschwörer illegaler Ermittlungen, zum Teil des Korpsgeistes werden zu lassen. Vielmehr muss auch ein spannender Kriminalplott zeigen, dass Ermittler/innen wissen, wo für sie Schluss ist und verstehen, damit umzugehen, ohne aufzugeben.

Im Einzelnen ist folgendes anzumerken:
  • Die Szene, in welcher der Gynäkologe zum Telephon greift, um sich bei der Krankenkasse zu erkundigen, ob seine Patientin etwa noch bei anderen Ärzten in Behandlung ist, entbehrt jeder rechtlichen Grundlage. Zwar lässt der Film durchaus offen, ob das Gespräch mit der Krankenkasse tatsächlich stattgefunden hat oder ob der Arzt die Beamten darüber nur täuscht, die Kommission hält es jedoch für wichtig, darauf hinzuweisen, dass solcherlei Auskünfte über Patientendaten für eine Krankenkasse ebenso der Geheimhaltung unterliegen wie für einen Arzt. Die Auskunft hätte somit nicht ohne Weiteres erteilt werden dürfen und schon gar nicht am Telephon.
  • Das gewaltsame Eindringen in die Wohnung des Junggesellen, aus der die Schreie des Kindes kamen (s.o.), war auch ohne Durchsuchungsbeschluss gerechtfertigt. Auch wenn es sich nachträglich als Irrtum herausstellte, handelten die Beamten hier nicht nur aus strafprozessualen, sondern auch aus präventiven Gründen, um das Baby vor gesundheitlichen Gefahren zu bewahren. Dabei durften sie davon ausgehen, dass ein weiteres Abwarten oder die Verständigung eines Schlossers möglicherweise zur Flucht des Verdächtigen mit dem Kind geführt hätte. Damit können sie sowohl nach den Polizeigesetzen zur Gefahrenbeseitigung als auch nach der StPO zur Verfolgung von Tatverdächtigen im Falle unmittelbar drohender Gefahr ausnahmsweise nach eigenem Entschluss handeln und Wohnungen durchsuchen. Diese Voraussetzungen waren hier gegeben. Daran ändert auch der tatsächliche Irrtum über die Umstände nichts. Allerdings müssen die Behörden für den Entstandenen Schaden gegenüber den Bewohner/innen aufkommen.
  • Die Vernehmung des Gynäkologen auf dem Polizeirevier zunächst als Zeugen, im Verlauf des Gesprächs aber als Verdächtigen hätte sofort abgebrochen werden müssen, als dieser einen Anwalt zu sprechen verlangte. Setzt die Polizei die Vernehmung dennoch fort, führt dies zur Unverwertbarkeit der Aussage im gerichtlichen Verfahren. Im übrigen stellt es einen Verstoß gegen die Justizgrundrechte des Zeugen bzw. Verdächtigen dar.
  • Nach dem Auffinden des gesuchten Kindes nimmt die Kommissarin das Kleinkind an sich, um es ihrer Mutter zur Aufbewahrung zu geben. Das ist selbstverständlich nicht zulässig. Zuständig ist hier das Jugendamt für die angemessene Versorgung und Unterbringung des Kindes, wenn eine ärztliche Versorgung nicht notwendig erscheint.
  • Am Ende des Films kommt es zu einer - für Jurist/innen reichlich amysanten - Auseinandersetzung zwischen dem Ehepaar Marquardt und dem Ex-Mann der Toten. Dabei bietet dieser den Marquards das Sorgerecht an seinem Kind an, nach dem sich herausgestellt hat, dass er selbst der Vater des Kindes sei, wenn diese dafür einen bestimmten Geldbetrag zur Rettung seiner Tischlerei zahlten. Dadurch wird der irreale Eindruck erweckt, es handle sich beim Sorgerecht um ein privatrechtlichen Abtretungsvertrag, bei dem das Eigentum an dem Kind übertragen werden kann. Wenn das ginge, würde bestimmt so manche Eltern ihre Kinder bei E-bay versteigern... Tatsächlich ist die Frage des Sorgerechts keine zivilrechtliche, sondern eine öffentlich-rechtliche Frage. Wird das Sorgerecht nicht von den Eltern selbst ausgeübt hat ein Familiengericht zum Wohle des Kindes über die Frage zu entscheiden, wer es statt derer ausüben darf bzw. soll. Eine rechtsgeschäftliche Verfügung über Menschen ist im Rechtsstaat formell zumindest ausgeschlossen.


Mittwoch, 10. September 2008

Sendebetrieb vorrübergehend eingestellt

Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer,

wegen anhaltender Urlaubsplanungen wird dieser Blog erst wieder am dem 21. September 2008 mit neuen Inhalten gefüttert. 

Wir danken für Ihr Verständnis und wünschen allseits spannende Unterhaltung 
Ihre Tatortkontrollkommission

Mittwoch, 28. Mai 2008

Nu sprechens ni hochdeutsch?!

Tatort vom Sonntag, 25.5.08:
Todesstrafe (Regie: Patrick Winczewski
, MDR)


Sachverhalt:
Gerade mit dem Zug in Leipzig angekommen, wird Hauptkommissar Andreas Keppler (Martin Wuttke) direkt zu einem Tatort gerufen, wo seine neue Kollegin und ex-Ehefrau Eva Saalfeld (Simone Thomalla) ihn schon erwartet. Zeit für Privates bleibt ihnen aber nicht, denn sie müssen gemeinsam einen Mord aufklären.

Hans Freytag (Tom Quaas), Betreiber des Veranstaltungszentrums "Fabrik", wurde erstochen von der Bäckersfrau aufgefunden, eine unerkannte Person ist vom Tatort flüchtig. Freytag hatte gemeinsam mit Jugendlichen ein Boot restauriert, an dessen Bug nun das Wort "Todesstrafe" gesprüht stehen. Keppler, dessen Alleingänge und dessen introvertiert schroffes Sozialverhalten im Ermittlungsteam schon bald zu Spannungen führt, und Kommissarin Saalfeld ermitteln, dass Freytags "Fabrik" bereits mehrfach von Unbekannten mit dem Wort "Kinderschänder" beschmiert worden war. Hintergrund könnte eine Strafanzeige seiner von ihm getrennt lebenden Frau Sibylle (Julia Richter) sein, die behauptet, dass Freytag ihre gemeinsame kleine Tochter missbraucht habe. Gegen Freytag herrschte Pogromstimmung im Stadtteil. Auf der Spur nach der flüchtigen Person vom Tatort stoßen die Kommissare Saalfeld und Keppler auf Max Lornsen (Joseph Bundschuh), der auch als letzter mit Freytag telefoniert hatte. Allerdings war der junge Mann mit dem Opfer befreundet - welches Motiv für einen Mord sollte er haben?

Das sieht beim Wirt Kurt Steinbrecher (Matthias Brenner) ganz anders aus: Er ist Vorsitzender eines eingetragenen Vereins, der öffentlich die Todesstrafe für Kinderschänder fordert. Steinbrecher hat kein Alibi, und seine Fingerabdrücke befinden sich auf einer am Tatort gefundenen Spraydose. Als die Kommissare dann noch herausfinden, dass Sibylle Freytag und ihr Anwalt Klaus Arend (Roman Knizka), der mit Kommissarin Saalfeld gemeinsam die Schulbank der POS Georgi Dimitroff gedrückt hatte, schon seit längerem ein Paar sind, stellt sich ihnen die Frage nach dem eigentlichen Zweck der Missbrauchsanzeige.

Eva Saalfeld und Andreas Keppler ermitteln in einem Stadtviertel, in dem eine Tendenz zu Bürgerwehr und Selbstjustiz herrscht. In ihrem ersten Fall müssen sie ein Geflecht aus Stammtischparolen, zerrütteten Ehen und gescheiterten Träumen entwirren.


Bewertung:
Die Kommission ist empört: Keppler spricht kein sächsisch; Saalfeld spricht kein sächsisch. Die alten Lornsens, der junge Lornsen, ja selbst die Bäckerin „von nebenan“ sprechen dialektfrei die deutsche Sprache. Menschen ohne Herkunft? Und das ausgerechnet in Leipzig, wo doch, wie manche behaupten, der Dialekt erst erfunden wurde. Und wo man ganz gewiss nicht beschämt darüber ist, noch nicht vollständig in die up-to-date-Gesellschaft des 21. Jahrhunderts globalisiert und assimiliert zu sein.

Der Süddeutschen Zeitung hingegen scheint dieses linguistische Element ziemlich egal zu sein, denn schließlich sei ja eh „längst zusammengewachsen ist, was zusammengehört,“ wobei Else Buschheuer von der SZ nicht das, sich seit langer Zeit wiedersehende Ermittlerpaar meint, sondern die vermeintlich sächsisch sprechenden Ostdeutschen und die vermeintlich hochdeutsch sprechenden Westdeutschen. Klischees at its best! Und das ganz ohne Augenzwinkern.

Dass die dialektfreie Zone seit einiger Zeit in verschiedenen Tatortfolgen regionale Besonderheiten außer Kraft setzt und dem föderalen Prinzip des Tatorts somit einen Teil seines Sendungsbewusstseins entzieht, stellt die Kommission im Gegensatz zu den meisten medialen Reaktionen auf die Tatortfolge außerordentlich in Frage. Denn schließlich war es doch bisher stets etwas Besonderes, die im Relativen doch heterogene Lebenswelt hiesiger Regionen auch im Fernsehen zu erleben.

Und welchen Zweck kann das Konzept der linguistischen Deregionalisierung haben? Soll den Zuschauern bedeutet werden, dass es ja schließlich kein Problem sei, wo man arbeitet, sondern lediglich, das man arbeitet!? Ob Berlin oder Leipzig, ob Münster oder München – der modern-kapitalistischen Arbeitswelt ist das egal. Flexibel soll der Mensch sein (und dabei hilfreich und gut)! Hierfür, so scheint es, sind ein akzentfreies Hochdeutsch sowie die ausgeprägte Bereitschaft, seinen Wohnort vom Ort des Arbeitsplatzes abhängig zu machen, unabdingbare Voraussetzung. So entnimmt die Kommission die Botschaft: Kappt eure Wurzeln und sprecht hochdeutsch! Wo auch immer das sein wird - so wird es gut.

Nein, ein lebensnaher Tatort, ein Tatort „dran an den Menschen“ war das also wieder nicht. Vielmehr eine virtuelle Welt, zu der die Reale, so hofft man, doch niemals aufsteigen soll und im zweiten Atemzug schon bezweifelt, ob das nicht schon längst passiert ist. Im Tatort aus Leipzig ist es jedenfalls die Realität – auch im juristischen Sinn: Da stiftet die Kommissarin ihren alten „Freund aus EOS-Zeiten“ und Rechtsanwalt in seiner kitschig und klischeehaft mondänen Arbeitsumgebung an, als Zeugnisverweigerungsberechtigter nach § 53 I Nr. 3 StPO Privatgeheimnisse seines Mandanten zu verletzen, was strafbar ist nach §§ 203, 26 StGB. Da kommt es - wie schon in vergangenen Tatort-Folgen - zu Vernehmungen ohne vorherige ordnungsgemäße Belehrung. Mit dem Rechtsstaat also nimmt es der Tatort auch in dieser Folge nicht so genau.

Im Besonderen positiv bewertet die Kommission jedoch die ausgiebige Nutzung der Leipziger Straßenbahn durch Kommissar Keppler, der auch im Übrigen durch Martin Wuttke, den „Arturo Ui“ des Berliner Ensambles und dessen ehemaliger Intendant, hervorragend in Szene gesetzt wird. Schade, dass seine Kollegin Saalfeld, gespielt von Simone Thomalla, daneben so blaß bleibt. Schließlich kann wenigstens die Straßenbahn als fester Bestandteil des Leipziger Fluidums Präsenz zeigen, wenn den SchöpferInnen schon die sächsische Sprache nicht zur Identifizierung des Leipziger-Tatortes geeignet erschien.

Dienstag, 20. Mai 2008

Schallende Ermittlungen im Münsterland

Tatort vom Sonntag, 18.5.08:
Krumme Hunde (Regie:
Manfred Stelzer, WDR)

Nur zweimal im Jahr gehen Hauptkommissar Frank Thiel (Axel Prahl) und Rechtsmediziner Prof. Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers) auf amüsante Verbrecherjagd.

Diesmal wird der Privatdetektiv Peter Mang mit einer Hunde-Tätowierung im Nacken und Einstichwunden im Rücken halbnackt und von Säure verätzt in einer Baugrube gefunden. Ist er das Opfer seiner geheimen Ermittlungen geworden?

Der Tote Privatdetektiv lässt nicht nur eine Reihe pikierlicher Überwachungsbänder aus dem - wie das Bundesverfassungsgericht formulieren würde - absoluten Kernbereich privater Lebensführung zurück, sondern auch eine riesige Dogge, die - wie Thiel treffend formuliert - "Halbleiter scheißt". Auf dem so wiedererlangten Chip einer Digitalkamera findet Kommissar Thiel Fotos, die ihn auf die Spur der Industriellenfamilie Rummel führt. In der Ehe von Sabine und Markus Rummel scheint es trotz der sauberen Fassade offensichtlich zu bröckeln: Schließlich zeigen die von dem Detektiv aufgenommenen Fotos, dass den Werkschef und seine neue Assistentin Christine Schauer mehr verbindet als nur ein Arbeitsverhältnis. Beauftragt wurde der Privatdetektiv von Alfred Wesskamp. Der ehemalige Werksmitarbeiter ist ein älterer Freund des Hauses Rummel. Wesskamp verrät Kommissar Thiel auch, dass die Firma unter der Führung von Markus Rummel wirtschaftlich jüngst in eine Schieflage geraten ist. Derweil ermittelt Prof. Boerne wieder mal auf eigene Faust. Dass ihm der ermordete Privatdetektiv zum Verwechseln ähnlich sah, lässt den Rechtsmediziner keine Ruhe. Die auffällige Tätowierung des Toten führt ihn in ein einschlägiges Münsteraner Tattoo-Studio. Hier trifft er auf den Weißrussen Jan Sievic – und dessen Kampfhund …

Derweil versucht Vater Thiel vergeblich, dem Sohn seine neue indische Freundin Asha näher zu bringen und etwas familiär zu werden. Die wiederholten Versuche einer gemeinsam Mahlzeit scheitern jedoch immer am laufenden Ermittlungsstand und verleiten
Staatsanwältin Wilhelmine Klemm (Mechthild Großmann) dazu, an Thiels Junior statt das erleuchtete Paar zum Essen zu begleiten und die okulte Asha nach Wegen aus ihrer Rauchsucht zu befragen. Der Rest des überaus unterhaltsamen Tatorts wird daher mit grummeligen, penetranten Mantras, einer hungrigen Dogge und der Frage dominiert, warum Kommissar Thiel ständig eine Mütze tragen muss.

Bewertung:
Die Kommission sieht sich außer Stande, den Münsteraner Tatort einer grundlegenden wissenschaftlichen Bewertung zu unterziehen. Wo die Darstellung polizeilicher Ermittlungstätigkeit so sehr mit den Klischees einer von Intolleranz und Vorurteilen geprägten Gesellschaft spielt, dass deren überzogene Darstellung allenfalls die Lachmuskel anregt, denn ernsthaft als vorbildhafte Blaupause von Realität wahrgenommen werden kann, wird das Lachen zur versöhnlichen Erkenntnis und ist jeder ernsthafte Bewertungsversuch selbst zur Groteske verurteilt. Die Kommission stellt daher lediglich fest, dass sie sich außerordentlich amüsiert hat.

PS: Die Kommission regt die Ehrenmitgliedschaft von Thiel-Darsteller
Axel Prahl in dem polizeibekannten Hamburger Fussballverein an, denn nie hat jemand im öffentlich-rechtlichen Fernsehen so viel Werbung für einen Fussballverein gemacht, wie Prahl für den FC St. Pauli.

Montag, 12. Mai 2008

Komm süßer Tod... -- Wissen schaft Kriminalität

Tatort vom Sonntag, 4.5.08:
Exitus (Regie:
Thomas Roth, RBB)

Sachverhalt:
Crash Test Dummies sind auch nicht das was sie einmal waren. Um die Auswirkungen ein echtes Schleudertraumas bei ungenügender Sicherheitsausstattung von Unfall-Pkws auszutesten brauchts schon echte menschliche Körper. Aber wer würde sich dafür schon zur Verfügung stellen - selbst wenn mensch tot ist?? Also woher nehmen, wenn nicht stehlen...?

Nach einem Autounfall findet die Polizei fünf Leichen im feuergefangenen Wrack. Drei davon sind entkleidet und wie sich bald herausstellt längst vor dem Unfall verstorben. Der illegale Leichentransport ruft den Sonderermittler des Innenministeriums Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) auf den Plan. Gemeinsam mit seinem Wiener Kollegen Inspektor Bernhard Weiler (Heribert Sasse) treibt Eisner die Ermittlungen um die schaurige Entdeckung voran, die ihn in die Welt der Medizin und Forschung führen. Und wo Medizin und Forschung zusammen kommen ist häufig auch das große Geld nicht weit. Erste Untersuchungen ergeben, dass diese drei Leichen aus einem Krankenhaus offiziell zu Forschungs- und Lehrzwecken an die Anatomie der Universität Wien überstellt worden waren. Auch die Leiterin der Klinik Dr. Veronika Fuchsthaler (Sunny Melles) hat keine Erklärung dafür, wie diese menschlichen Körper nachts in einen Kleintransporter auf einer einsamen Landstraße gekommen sind.

Unerwartete Hilfe und emotionale Nähe erhalten die Ermittler, besonders aber Sonderermittler Elsner von der jungen Pathologin Dr. Paula Weisz (
Feo Aladag), die in dem Krankenhaus Ungereimtheiten entdeckt. Auf eine ganz heiße Spur stößt Dr. Weisz bei einem Seminar an der Grazer Universität. Denn bei einem Anschauungsunterricht erkennt sie den vermisst gemeldeten Körper einer jungen Drogensüchtigen wieder, die nach den Unterlagen bereits in Wien von Studenten seziert worden ist. Wie konnte diese Leiche dann äußerlich offensichtlich unversehrt nach Graz kommen?

Für Moritz Eisner ist klar, dass die Anatomie und das Krankenhaus über gefälschte Akten Leichen verschwinden lassen. Menschen, die keine Angehörigen haben, für die niemand ein Begräbnis bezahlt und die niemand vermisst. Doch zu welchem Zweck geschieht das? Und warum hat die drogensüchtige Frau schwere Brüche an der Wirbelsäule und den Schultern, die ihr eindeutig lange nach dem Tod zugefügt wurden?

Inspektor Weiler findet unterdessen heraus, dass ein großes deutsches Versicherungsunternehmen, das sich u.a. auf Lebens- und Unfallversicherungen spezialisiert hat, Millionenbeträge wegen unfallbedingter Schleudertrauma auszahlen musste. Dieses Unternehmen publizierte nun eine Studie, wonach die Schleudertraumata sehr viel seltener zu Berufsunfähigkeit führen als bislang angenommen. Genauere Untersuchungen waren bisher mangels menschlicher Versuchskörper nur sehr beschränkt möglich gewesen. Seit Veröffentlichung der Studie haben die Versicherungen ihre Auszahlungspraxis grundlegend geändert und sparen so Millionen. Woher die in der Studie in Crash-Tests verwendeten Menschenkörper stammten bleibt ungewiss. Schnell kommen die Ermittler der Versicherung auf die Spur, deren österreichischer Firmensitzt zufällig oder gerade nicht von dem in Scheidung befindlichen Ehemann der Klinikdirektorin
Fuchsthaler geleitet wird. Ein Schelm, wer böses dabei denkt...

Verfolgt von der Presse, die Wind von dieser Schauergeschichte bekommen hat, gerät Eisner immer tiefer in Ermittlungen, die ständig neue Fragen aufwerfen. Vor allem aber diese eine Frage: Wie weit dürfen Wissenschaft und Forschung gehen?

Bewertung:
"Exitus" ist ein sehr kurzweiliger, irgendwie "typisch" österreichischer Tatort, der eher an die Schocker der Kult-Thriller "Anatomie" und die morbide Kriminalgroteske "Komm süßer Tod" erinnert, denn an das übliche Tatortformat. Sollte das damit zu tun haben, dass sich die Preußen des RBB ihre Wiener Kollegen ebenen genau so vorstellen, denn der österreichische Tatort kommt aus Berlin (vgl. Jürgen Heimlich: Der TATORT aus Sicht eines Wieners)?

Dabei werden zwar durchaus spannende Fragen aufgeworfen:
  • Warum kann der Leichnam eines Menschen nach dem deutschen Recht für medizinische Versuche und Organspenden nur genutzt werden, wer eine entsprechende Erklärung abgegeben hat und seinen Organspenderausweis mit sich führt, während in Österreich schlichtweg jeder Leichnam weiterverwendet werden kann, wenn diese nicht explizit durch den Verstorbenen ausgeschlossen wurde oder Angehörige die Bestattung zeitnah veranlassen?
  • Wo sind die Grenzen wissenschaftlichen Forschens?
  • Ist die Forschung reiner Selbstzweck und von jeder ethischen Bewertung freizustellen?
  • Wem darf, wem muss die Forschung dienen?
Indes, sie bleiben als Fragen Nebensätze des aktionsreichen Geschehens, unbeantwortet und unerhört. Die bösen Forscher richten sich selbst und werden Märtyrer ihrer verstaubten, aber als rücksichtsloser Pioniergeist empfundenen Wissenschaftsauffassung. Dabei wird jedoch nicht verholen, dass das Gerede von Wissenschaft und Erkenntnis am Ende nicht mehr ist, als ein großes Geschäft - und zwar auf allen Seiten.

Die Kommission hat wenig Anlass für strafprozessuale Kritik. Wo durch die Polizei Rechtsbrüche begangen wurden oder werden sollten, war dies Gegenstand der Auseinandersetzung zwischen den Kollegen bzw. gegenüber der Staatsanwaltschaft. Nichtsdestotrotz hat sich Sonderermittler Eisner wegen versuchter Nötigung und Sachbeschädigung strafbar gemacht, wiewohl nach dem Handlungsverlauf davon auszugehen ist, dass der als Opfer in Frage kommende Reporter keine Anzeige erstatten, andernfalls die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen einstellen wird.

Problematisch erscheinen die Frauenbilder in diesem Tatort. Während Dr. Weisz, eine schöne, intelligente Frau, als Inbegriff der selbständigen Karrieristin ein einsames Leben fristet und in Kommissar Eisner einen ebenbürtigen Partner findet, um wegen ihres Mutes und ihres Jobs geopfert zu werden, dient Klinikumsleiterin Dr. Fuchsthaler als Portfolio einer abhängigen, treuherzigen Ehefrau, die ihrem Mann selbst dann noch gehorcht, wenn dieser von ihr kriminelle Handlungen verlangt, fremdgeht und überdies die Scheidung eingereicht hat. Sie wird in einer zu tiefst entwürdigenden Haltung präsentiert, deren Tiefpunkt ohne Zweifel das schluchsende Eingeständnis ihrer Schuld an der Brust des sie überführenden Ermittlers ist. Beide Frauenbilder, samt der um ihren Vater und sein Glück besorgten Tochter, prägen die Szenerie, in deren Mittelpunkt Sonderermittler Eisler steht, dessen besonderer männlicher Charme der Kommission verborgen blieb, nicht ohne über dessen Auswirkung verwundert zu sein. Ein Merkmal, das sich übrigens durch fast alle Tatortfolgen mit Major Moritz Eisner, dem "lonesome cowboy", zieht (vgl. nur "Die Hölle, das sind die anderen", "Tod aus Afrika" oder "Der Teufel vom Berg") .

Nicht ohne Ironie möchte die Kommission den Autoren der Tatortfolge (Buch und Regie Thomas Roth) für das in dem Werbetrailer der verunfallten Medizinstudenten zum Ausdruck kommende anschauliche Beispiel des Tatbestands von § 168 Abs. 1 (2. Alt.) StGB [beschimpfender Unfug mit dem Körper oder Teilen des Körpers eines verstorbenen Menschen -> Straferwartung: Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis drei Jahren] danken, dass noch Generationen von Jurastudierenden als Vorbild bei der Subsumtionsarbeit dienen kann.

Montag, 28. April 2008

Vielschichtige Handlung ohne Umweltverbund

Tatort vom Sonntag, 27.4.08:
Der oide Depp (Regie: Michael Gutmann, BR)


Sachverhalt:
Die beiden Kripobeamten im Morddezernat München Batic (Miroslav Nemec) und Leitmayr (Udo Wachtveitl) sind nicht begeistert, sich mit der Wiederaufnahme der Ermittlungen zu einem alten Fall herumschlagen zu müssen. Der zum Polizeipräsidenten aufstrebende Kriminaloberrat Wellisch (Christian Springer) drückt ihnen den Fall trotzdem auf und läßt mit einen Stapel verstaubter Akten auch noch einen neuen "alten" Kollegen ins Büro schieben:
1965 ermordet in München ein Unbekannter zwei "Edel-Prostituierte" Gertrude 'Gina' Echsner (Muriel Roth) und Johanna Wiesnet (Julia Eder) grausam. Jetzt finden Polizisten im abgeschleppten Amischlitten des gerade aus den USA zurückgesiedelten Robert 'Roy' Esslinger (Jörg Hube) zufällig die Tatwaffe. Bei diesem kaltschnäuzigen Ex-Unterwelt- und "Bordellkönig" allerdings beissen sie trotz folgenden Schwächeanfall und Herzinfarkt auf Granit.
Die Ermittlungen werden auch durch den unterschätzten Grantlhuber Kriminalhauptkommissar Bernhard "Opa Sirsch" (Fred Stillkrauth), der den ausgeschiedenen Kollegen Carlo ersetzen soll - vorgeblich keinen Computer bedienen kann und Alkoholiker zu sein scheint - nicht erleichtert.
Die Kripobeamten tauchen ein in das verblasste Münchner Rotlichtmilieu der 60er Jahre. „Roy“ war damals eine viel beachtete Halbweltgröße im Bahnhofsmilieu. Mit gescheitem Taktieren hatte er es verstanden, auch mit den Spitzen der Stadt zu kooperieren. Auch Münchens ehemaliger - inzwischen geschickt vorgeblicher dementer - Polizeipräsident Dr. Landgräber (Gerd Fitz) kann sich an ihn mehr als nur erinnern.
Eine Strafanzeige wegen Körperverletzung durch die beiden späteren Mordopfer wurde seinerzeit bei der Polizei nicht weiter aufgenommen und verfolgt ...
Zu spät stellen sich die Komissare die Frage, ob der neue Kollege so hilflos ist oder ob er nicht geschickt die Ermittlungen bestimmt? Als sich dann seine vorgefertigte Meinung bei den Kollegen nicht durchsetzt, greift dieser zur Selbstjustiz und wird selbst Opfer des damaligen Mörders.

Bewertung:
"Der alte Depp" vom Bayrischen Rundfunk aus München ist ein größtenteils fesselnder Tatort mit den zwei Sympathieträger, den Kriminalhauptkommissaren Ivo Batic (Miroslav Nemec) und Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl).
Das Experiment der ungewöhnlichen Handlungsstruktur mit Retrospektiven ist eine gute Idee des auch beim "Fall für zwei"-Detektivkrimi regieführenden Michael Gutmann - in der Tiefe aber nicht immer ganz geglückt.
Insbesondere bleiben die weiblichen Charaktere, vor allem die beiden ermordeten jungen Frauen, nicht weniger auch die wohl amerikanische Frau Esslinger, als Klischee ihrer selbst, im übrigen aber blaß und konturlos in der Handlung stehen.
Die detailgetreue Rekonstruktion der 60er von Nicholas Ofczarek ist zwar beachtlich, doch nach dem raffinierten Wechsel der Zeitebenen bietet schlußendlich die tötliche Auflösung wenig Überraschung. Durch Humor und gute schauspielerische Leistungen wird dies allerdings wett gemacht.
Die Kommission zeigt sich bedenklich, dass der auf Hinweis von "Opa Sirsch" schließlich bei der Staatsanwaltschaft beantragte und nicht einfach nur vollzogene Gentestvergleich von Kommissar Leitmayr so dargestellt wurde, als handle es sich dabei um einen unnötigen bürokratischen Umweg. Gerade das Beispiel dieses Tatorts hat nämlich gezeigt, wie schnell anlässlich antiamerikanischer und antikapitalistischer Vorbehalte gegen menschliche Ekelgestalten der (wohl nicht nur polizeiliche) Verdacht naheliegt, diese müssten auch die gesuchten Mörder sein.

Rechtsverstöße:
  • Hausfriedensbruch in zwei Fällen: z.B. Eindringen und Durchsuchen der Wohnung von Opa Sirsch ohne Durchsuchungsbefehl
  • Nötigung gegenüber Vorgesetzten (Abschlusszene, wiewohl die Kommission hier an der Zweck-Mittel-Relation am Tatbestand der Verwerflichkeit Zweifel hatte)
  • Ungerechtfertigte Benutzung des Blaulichts; StVO §35 (Sonderrechte) und § 38 (Wegerechte)
Umweltbewußtseinsstörungen:
  • Fahren mit nicht den (EU-) Umweltrichtlinien und Abgasnormen entsprechenden Fahrzeugs durch den Freistaat Bayern.
  • Auschließliche Benutzung des MIVs (Motorisierter IndividualVerkehr) zur Ermittlungstätigkeit und - wie immer beim Tatort - völlige Missachtung der öffentlichen Verkehrsmittel im Umweltverbund.

Montag, 21. April 2008

Das Kettensägenmascara – Eifersucht, Vorteilsnahme und radioaktiver Biomüll in Köln

Tatort vom Sonntag, 20.04.2008:
Müll (Regie:
Kaspar Heidelbach, WDR)

Sachverhalt:
»Verstümmelte Frauenleiche nach Feuer auf Müllkippe gefunden«, titelt die Sensationspresse und setzt Staatsanwalt von Prinz unter Handlungsdruck: Doch die Spurensuche der Kölner Kommissare Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Freddy Schenk (Dietmar Bär) stockt. Nach dem Brand ist die Leiche nicht mehr identifizierbar, Arme, Beine und Kopf der Toten wurden abgetrennt und sind unauffindbar.
Zeugen sind nicht in Sicht. Weder Peter Esser, der Geschäftsführer der kleinen Entsorgungsfirma, auf deren Gelände der verkohlte Körper gefunden wurde, noch der jungen Gärtnerin Kaja Krumme (Elena Uhling), die den Brand in den frühen Morgenstunden bei der Feuerwehr gemeldet hatte, ist etwas Verdächtiges aufgefallen. Nur der eigenbrötlerische Müllsammler Willy (Hans Diehl) aus Ballaufs Nachbarschaft weiß, dass es auf dem Recycling-Hof vor zwei Jahren bereits öfter gebrannt hat.
Von der Müllmafia ist die Rede, die gezielt kleinere Recycling-Unternehmen unter Druck setzt. Die Kommissare wollen Essers Sekretärin befragen. Doch die ist unauffindbar. Schnell rückt der Müllskandal in den Blickwinkel, denn Esser selbst wurde noch vor wenigen Jahren von Müllgiganten erpresst, die seinen Recyclinghof übernehmen wollten. Die Sekretärin, Frau Bubenheim, sollte dazu vor Gericht aussagen und war nicht erschienen - ihre Wohnung ist ordentlich und verlassen. Nur die Nachbarin will am Vorabend ihres Verschwindens einen Streit mit Esser in deren Wohnung wahrgenommen haben.
Der Verdacht fällt auf Esser, zwar gibt es weder Anhaltspunkte, dass es sich bei der Toten wirklich um die vermisste Sekretärin handelt noch dafür, warum Esser eine gerichtliche Aussage seiner Sekretärin verhindern wollte. War er doch selbst Opfer der Erpressung. Allerdings finden die Ermittler Hinweise, dass damals die Erpressung Essers just mit einer Anzeige aufhörte, in deren Zusammenhang der Anwalt Essers, Dr. Adam, der Staatsanwaltschaft einen Ordner mit Belastungsmaterial gegen die »Müllmafia« übergeben wollte.Zu einer Übergabe des Beweismaterials kam es jedoch nicht, statt dessen hörten nicht nur die Brandstiftungen auf Essers Recyclinghof auf, sondern wurde auch eine beträchtliche Summe Geldes auf dessen Konto überwiesen. Hat Esser die Erpresser am Ende selbst erpresst und wollte er deswegen die Aussage seiner Sekretärin verhindern?
Die Ermittler setzen ihn fest und verhören ihn in Anwesenheit seines Anwalts Dr. Adam. Dieser verbietet seinem Mandanten aber jede Aussage, der wiederum beteuert, die Erpressung habe nichts mit dem verbrannten Leichnam zu tun. Trotz geringen Tatverdachts bleibt Esser in Untersuchungshaft.
Inzwischen meldet der Gärtnersjunge Dennis Weber (Frederick Lau), dessen Vater Frank Weber (Wotan Wilke Möhring) mit der jungen Gärtnerin Kaja Krumme neu leiert ist, seine Mutter als vermisst. Die Polizei unternimmt einen DNA-Test bei der Toten und vergleicht ihn mit Haarproben, die von der vermissten Frau Weber stammen sollen. Der Test bleibt jedoch ohne Übereinstimmung. Auch ein weiterer Vergleich mit DNA-Proben der Sekretärin Bubenheim bleibt ergebnislos. Esser muss aus der Haft entlassen werden.
Als Kommissar Ballauf den Anwalt Essers in dessen Büro zu weiteren Ermittlungen aufsuchen will, stellt er fest, dass dieser nicht nur eine Kanzlei betreibt, sondern auch eine Recyclingfirma, die sich auf den Handel mit Müll spezialisiert hat. Der Verdacht liegt nahe, dass Dr. Adam am Erpressungsversuch Essers kräftig mitverdient hat.
Unterdessen stellt die Gerichtsmedizin radioaktive Strahlung am Leichnam der unbekannten Toten fest. Offenbar war sie nach ihrem Tot mit kontaminiertem Müll in Kontakt gekommen. Das Dezernat für organisierte Wirtschaftskriminalität schaltet sich ein auf der Suche nach schweren Umweltdelikten. Bei der Durchsuchung von Essers Recyclinghof findet die Polizei radioaktiv verseuchten Schlamm, der als Bio-Müll deklariert war und einen Finger der Toten. Als Müllsammler Willy dann auch noch einen Ring der Toten ans Licht bringt, wird das Geheimnis um die Identität der Toten gelüftet. Nicht Frau Bubenheimer ist das Opfer und Esser nicht der Mörder, er schickte seine Sekretärin aus Furcht vor der Müllmafia und Sorge um ihre Leben auf eine spanische Insel. Er hatte auch seine Firma nur noch zum Schein aufrecht erhalten, um so den illegalen Giftmüll im Auftrag seines Anwalts zu entsorgen.
Die Tote ist tatsächlich die vermisste Mutter des schicksalgezeichnet dreinblickenden Dennis. Die junge, besitzergreifende Geliebte von Frank Weber, Kaja Krumme, hatte die unliebsame Nebenbuhlerin (möglicherweise) in Notwehr erschlagen und ihr in Verdeckungsabsicht mit der Kettensäge die Gliedmaßen und den Kopf abgetrennt, bevor sie den Rest der Leiche auf dem Recyclinghof zu entsorgen versuchte, nachdem ein Verbrennungsversuch gescheitert war. Unter den frisch gesetzten Bäumen der Gärtnerei finden sich denn auch die restlichen Gliedmaßen der Toten. »Du hast doch auch immer gesagt, dass sie verschwinden muss!«, raunt sie ihrem Liebsten bei der Verhaftung zu und dieser guckt nur genauso hilflos dämlich wie im Rest des Films.

Bewertung:
"Der neue Kölner Tatort ist ein Männerfilm. Wo man hinsieht: kauzige, spießige, aufgeblasene, waidwunde Männer. Ein Panoptikum der Neurosen und Charakterschwächen stellen Achim Scholz (Buch) und Kaspar Heidelbach (Regie) aus. Der Titel dieser Folge, Müll, kann demnach auch auf diese hintergründige Ebene des Krimis bezogen werden. »Viel seelischer Unrat wartet auf seine Entsorgung.«" So der Kommentar von Stefan Fischer in der Süddeutschen Zeitung. Die Kommission kann sich dem nur anschließen, wiewohl nicht ohne ein "ja aber": Ein Männertatort mag es gewesen sein, dafür kommt er jedoch auch nicht ohne die größte Angst des männlichen Geschlechts aus. So wir Freud trauen dürfen, ist das die Kastrationsangst. Schade nur, dass es mal wieder keinen Mann getroffen hat, sondern nur die lästige Nebenbuhlerin, ein Szenario, dass denn auch dem Mann wieder gefallen kann.
Dennoch unterstreicht die Kommission den – wenn auch makaberen – Fortschritt, der darin zum Ausdruck kommt, dass Frauen durchaus als gleichberechtigte Täter in Betracht kommen, wenn es um schwere Verbrechen oder schwierig zu bewerkstelligende Verdeckungstechniken geht. Mal eben mit der Kettensäge eine Leiche beseitigen, am Tage ein paar Bäume pflanzen und den Stadtpark begrünen, am Abend dann die Steuererklärung vorbereiten, während der geliebte Mann nur treu-doof zuschaut, das ist ein Frauenbild, das mit alten Stereotypen aufräumt. Es ist gar nicht lange her, da kamen Frauen nur als mittelbare Täter oder als Anstifterinnen kräftiger Männer im TV-Krimi vor. Handelten sie selbst, war meist Gift im Spiel oder ein handlicher Damenrevolver. Das Motiv bleibt indes diesem Klischee einigermaßen treu.
Weiterer Kritikpunkt ist die Sorglosigkeit, mit der Nebenrollen ohne Wiederbelebungsversuche geopfert werden. Konkret wurde der Müllsammler Willy von Kaja mit einem Elektroschocker getastet, so dass dieser einen langsamen Herzinfakt erleidet und in den Armen von Kommissar Ballauf krepiert. Anstatt ihn aber mit einer Herzdruckmassage wiederzubeleben, eine Maßnahme, die jede/r Autorfahrer/in beherrschen muss, kommt auch hier wieder nur die Großaufnahme eines betreten dreinguckenden Gesichtsausdrucks in die Kamera. Dabei ist es so wichtig, in entsprechenden Situationen sofort und ohne falsche Scheu zu reagieren. Wie immer gilt auch hier: Nur wer nichts tut, macht etwas falsch! -- Für einen Polizisten in Garantenstellung wird bei unterlassenen Hilfemaßnahmen aus einer unterlassenen Hilfeleistung nach dem Strafgesetzbuch schnell ein Totschlag durch Unterlassen, wenn die Herzdruckmassage zur Rettung von Willy geführt hätte.
Darüber hinaus irritiert die Darstellung des korrupten Anwalts Adam. Problematisch ist dabei nicht so sehr, dass er als Strafverteidiger die typische Anwaltsrolle als Spielverderber schneller Ermittlungserfolge einnimmt oder als menschliches Arschloch an illegalen Müllverschiebungen mitverdient, kritisiert wird vielmehr das so erzeugte Bild, wonach anwaltliche Tätigkeit und Firmenchefsein eine Selbstverständlichkeit sind. Tatsächlich aber ist die Advokatur ein freier Beruf und die Nebentätigkeit von AnwältInnen stark begrenzt. Die Anwaltskammer achtet auch penibel darauf, dass ein Interessenkonflikt zwischen der Mandantenverteidigung und eigenen wirtschaftlichen Interessen – wie er hier dargestellt wurde – nicht schon institutionell bestehen. Das Bild des korrupten Anwalts mag nicht lebensfern sein, aber so stimmt es nicht.
Insgesamt hält sich jedoch die Darstellung polizeilichen Verhaltens weitgehend im Rahmen der Rechtsordnung. Wo Grauzonen der Rechtmäßigkeit existieren, werden sie als solche thematisiert (z.B. die Frage, ob ein dringender Tatverdacht die Untersuchungshaft von Esser rechtfertigt). Allerdings stellte die Kommission mehrere schwere Verstöße gegen Ermittlungsgrundsätze fest:
  • das Einschleichen bei Willy unter Vorgabe rein »platonischen Interesses« für dessen Motorrad-Fabel und dessen amtliche Befragung ohne vorherige Belehrung,
  • die Vernehmung des Zeugen Dennis Weber ohne elterliche Zustimmung (umstritten!).

ERSTE HILFE für Öffentlich-Rechtliche: 1. Hilfe immer sofort leisten, ohne und gerade in Anstalten!

Wichtigste Notregel der lebensrettenden Sofortmaßnahmen:

Sollte ein Lebewesen keine Atmung bzw. Puls haben, nicht heulen oder schreien sondern:
Notruf 112 absetzen, Atemwege (Mund, Nase) kontrollieren, neben den Brustkorb knien und sofort Herzdruckmassage mit beiden gestreckten Armen (Hände übereinander) auf unteres Drittel des Brustbeins mit eigenen Körpergewicht beginnen:
1 1/2 Mal pro Sekunde bis zum Eintreffen der Rettungskräfte ununterbrochen durchalten!
Wer zu zweit ist: Beatmung:
je 30 × Drücken (3 Mal pro Minute!) 2 kräftige Beatmungen (je 1 Sekunde) durch freie Nase oder Mund durchführen.

Die Herzdruckmassage führt selten zur "Wiederbelebung" (dann stabile Seitenlage), sondern hat vornehmlich die Aufrechterhaltung des Blut- und Luftkreislaufes (Imitation des Herzschlages/Lungenatmung und damit Sauerstoffversorgung des Gehirns und lebenswichtiger Organe) bis zur Wiederherstellung des natürlichen Herzschlages/Atmung durch den Notarzt/Rettungssanitäter mit Debrillator und/oder Medikamten zum Ziel.

Weitere lebenswichtige Hinweise zur 1. HILFE: http://www.drk-mobilservice.de/erstehilfe !

Rechtliche Bewertung:

Strafgesetzbuch - Besonderer Teil (§§ 80 - 358, 28. Abschnitt)
- Gemeingefährliche Straftaten (§§ 306 - 323c)
§ 323c : Unterlassene Hilfeleistung

Wer bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not nicht Hilfe leistet, obwohl dies erforderlich und ... ohne erhebliche eigene Gefahr und ohne Verletzung anderer wichtiger Pflichten möglich ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.

Weitere Hinweise: http://de.wikipedia.org/wiki/Rechtliche_Aspekte_bei_Hilfeleistung

Es muß scharf kritisiert werden, daß in öffentlich-rechtlichen Krimis sehr selten überhaupt oder fachgerechte Erste Hilfe geleistet wird.

Unterlassene Hilfeleistung verstößt nicht nur gegen das Gebot der Menschlichkeit, sondern auch gegen Strafgesetze! Polizeibeamtinnen und Beamte stehen nämlich als Amtsträger in einer „Garantenstellung“ gegenüber den Bürger/innen, deren Schutz sie dienen sollen. Daher trifft sie eine besondere Verantwortung für deren Schutz, die auch mit der Überwachung von Gefahrenquellen verbunden sein kann (vgl. § 13 StGB). Wer den erhöhten Pflichten seiner Garantenstellung, die er Schutzbedürftigen Personen oder rechtlich geschützten Interessen gegenüber wahrzunehmen hat, nioht nachkommt, begeht u.U. ein unechtes Unterlassungsdelikt. Sie sind dann genauso strafbar, wie wenn sie den Schaden durch eigenes (positives) Tun selbst herbeigeführt hätten. Im Falle unterlassener Hilfeleistung durch z.B. Polizeibeamte oder sonstige zur Hilfeleistung amtlich Verpflichtete wird daraus dann z.B. eine Körperverletzung (§ 223 StGB) oder gar Totschlag (§ 212 StGB) bzw. im Falle fahrlässigen Handelns §§ 229 bzw. 222 StGB; von weiteren disziplinarischen Konsequenzen abgesehen!

Es wäre wahrlich eine leichte aufklärerische "Hilfe", wenn den ZuschauerInnen diese lebensrettende, leichte und selbstverständliche Hilfe im entsprechenden Krimi-Notfall in der Prime-Time der Öffentlich-Rechltichen Sendeanstalten gezeigt werden würde!

Montag, 14. April 2008

Geschlossene Gesellschaft Polizei – Normalisierung des Ausnahmezustands oder Aufklärung über Polizeirealität?

Polizeiruf 110 vom Sonntag, 13.04.2008:
Wie ist die Welt so stille (Regie:
Alain Gsponer, BR)

Sachverhalt:
Am Ortsrand von München wurden das Ehepaar Lilly und Werner Harms sowie ihr 26-jähriger Sohn Holger nachts in ihrem Einfamilienhaus grausam erschlagen. Der Mörder hat ein Schlachtfeld hinterlassen.

Am Tatort sind die beiden Kriminalhauptkommissare Jürgen Tauber (Edgar Selge) und Jo Obermaier (Michaela May) entsetzt über die Brutalität, mit der die Familie regelrecht hingerichtet wurde. Die 20-jährige Tochter Maren hat die Mordnacht nur deshalb überlebt, weil sie zur Tatzeit zufällig bei einer Freundin übernachtete. Sie erleidet einen Schock, als sie am Morgen ins Elternhaus zurückkehrt. Tauber verspricht der verzweifelten Tochter Maren (Naja Bobyleva), den Fall so rasch wie möglich aufzuklären und bittet ihren Verlobten, Thomas Rösch (David Rott), sich verstärkt um Maren zu kümmern. Tauber hat Sorge, dass sie möglicherweise in Lebensgefahr schwebt, solange der Täter nicht gefasst ist.

Sowohl Maren Harms als auch die Presse und Staatsanwalt Voss setzen die Kommissare fortan unter Druck. Aber schon nach den ersten Verhören muss sich Tauber eingestehen, dass er das Versprechen, das er Maren gab, nicht so zügig wie erhofft einlösen kann: Der Kreis der möglichen Täter ist zwar groß, doch letztlich können er und Kollegin Obermaier keinem und keiner der Verdächtigen etwas nachweisen. Damit steigt der Druck auf die Kommissare und ihre Ermittlungsmethoden werden härter. Kommissar Tauber gehen die Bilder der blutüberströmten, misshandelten Leichen vom Tatort nicht aus dem Kopf; er kann sie nicht mehr sehen, sie verfolgen ihn selbst noch in seinen Träumen. Was als Ermittlungseifer begann, wendet sich bald in Angst vor den eigenen Träumen, Schlaflosigkeit und Besessenheit. Erst wenn er »das Schwein geschnappt hat, dass das angerichtet hat«, wird er schlafen können. Um sich wachzuhalten, stürzt Tauber einen Koffeindrink nach dem anderen hinab. Kaum noch Herr seiner selbst, überschreitet Tauber dabei nicht nur seine eigenen Grenzen, sondern auch die Grenzen der Legalität: KollegInnen beschimpft, Zeugen werden körperlich bedroht und misshandelt, falsche Fährten gesetzt und die Verbreitung höchstpersönlicher Initimität im Freundeskreis eines Verdächtigen, dem Freund des ermordeten Sohns der Familie Harms, führt zu dessen sozialer Isolation und schließlich Selbstmord.
Kommissarin Jo Obermaier beobachtet das Verhalten ihres Partners mit wachsender Besorgnis. Nicht unwidersprochen nimmt sie dessen Alleingänge hin, empfiehlt sogar dem leitenden Staatsanwalt den Rückzug Taubers von den Ermittlungen. Dieser hat jedoch einen so hohen Erwartungsdruck aufgestellt, dass er zwar betont, das Verhalten des Kommissars würde zwar »unter normalen Bedingungen«zu dessen Abzug führen, aber angesichts des Personalmangels sollten sich die beiden Polizisten »gefälligst zusammenreißen«. Ein Rechtfertigungsgrund für die bereits begangenen Rechtsverletzungen und Straftaten im Amt, liefert der Staatsanwalt gleich mit: Tauber sei von dem – ausgemärgelten und alkoholsüchtigen, körperlich schlaffen – Zeugen angegriffen worden und hätte sich nur verteidigt. Nach dem Selbstmord des Hauptverdächtigen, bricht Tauber schließlich zusammen und wird auf Kur geschickt. Der Fall wird zu den Akten gelegt.

Erst viel später, beim herbstlichen Pflügen eines Ackers, entdeckt ein Bauer die Tatwaffe – einen Baseballschläger, und an ihm haften noch immer die DNA-Spuren des Mörders. Die DNA führt die neu aufgelebte Sonderkommission zum schnöseligen Verlobten der Überlebenden. Diesem wird jedoch von einer anderen Geliebten ein Alibi gegeben, die mit ihm die Mordnacht im Bett verbracht haben will. Da den Ermittlern, samt des aus der Kur zurückgekehrten Tauber, der DNA-Beweis als Indiz für eine Verurteilung nicht genügt, laden sie Rösch und dessen junge Geliebte zum Parallelverhör. Um die Geliebte zum Sprechen zu bringen, verleiten sie Rösch zu der Aussage, der Sex mit Maren Harms sei viel besser und die Geliebte nur so ein Zeitvertreib nebenher. Diese Aussage wird life in das Vernehmungszimmer der jungen Frau übertragen, wo diese unter Tränen einräumt, dass sie beim Erwachen in der Mordnacht festgestellt habe, dass Rösch nicht mehr im Bett sei. Als er später wiederkam, sei er kalt gewesen. Auch diese Aussage wird life über Lautsprecher in das Vernehmungszimmer von Rösch übertragen, wo Tauber zum letzten Schlag ausholt und ihn an seiner Eitelkeit packt. Er gesteht die Tat.
Tauber berichtet Maren Harms, die ungläubig über eine mögliche Verstrickung ihres Freundes in dessen Büro das Ende der Vernehmung abgewartet hat, von dem Geständnis. Worauf sich diese einen als Aservat beschlagnahmten Baseballschläger nimmt und Rösch erschlägt.
Quelle: ard.de

Bewertung:
Dem jungen Regisseur Alain Gsponer ist als Debütkrimi ein bemerkenswert befremdlicher und zugleich auswegloser Polizeiruf 110 gelungen. »Selten hat ein TV-Krimi die Polizeiarbeit so gut dargestellt.«, schreibt die Süddeutsch Zeitung und wir fragen uns, woher kennt die Süddeutsche Zeitung deutsche Polizeiarbeit? Dennoch honoriert die Kommission die außergewöhnliche Direktheit mit der Themen wie Polizeigewalt, Zeugenkriminalisierung, gesellschaftliche Ausschlusswirkung, Homophobie und medialer Druck auf die ErmittlerInnen hier inszeniert wurden. Außergewöhnlich klar erfolgte auch die Benennung diverser Tabubrüche als Rechtsverletzung, ja sogar Folter. Undzwar nicht durch irgendeinen Verdächtigen oder dessen Verteidiger, sondern durch die Kollegin selbst, die sogar remonstriert. Dass diese Remonstration ohne Erfolg blieb, dass der leitende Staatsanwalt die Rechtsverletzungen nicht nur hinnahm, sondern auch vertuschte, mag konsequent sein. Ging doch der Ermittlungsdruck und die unreflektierte Hexenjagd gegen den Hauptverdächtigen vor allem von ihm aus. Die Kommission fragt sich jedoch, ob es bei einer bloßen Darstellung der Polizeiarbeit als menschenrechtswidrig und menschenunwürdig - und zwar sowohl für die Opfer von Polizeiarbeit wie für die PolizeibeamtInnen selbst – als Aufklärung genügen kann. Der Film weist keine Perspektive auf, er ist reiner Fatalismus. Tauber tut, was von ihm erwartet wird, zerbricht daran und geht in Kur. Dort reflektiert er zwar über die Unmöglichkeit von Polizeiarbeit, doch erscheint auch das wie reinster Selbstschutz. Wer eine unmögliche Aufgabe zu erledigen hat, kann eben nichts richtig tun. Persönliche Konsequenzen, die zu einer Selbstkorrektur des Apparats Polizei und/oder Justiz führen könnten, gibt es nicht. Weder gibt es ein Echo der Medien über die unmögliche Polizeiarbeit noch dienstrechtliche Konsequenzen. Der Zuschauer leidet nur mit dem Leid der Ermittler, der Ausweglosigkeit der Situation, die sich mit jedem Fehltritt der Polizisten nur noch tiefere Wunden und immer größere Betroffenheit, nur noch mehr Mitleid erzeugt. Schließlich sind es nicht die menschliche Fähigkeiten, die zur Lösung des Verbrechens führen, sondern Kommissar Zufall und die Technik (hier: DNA-Test). Es bleibt den Menschen überlassen, durch schmutzige Tricks, der Wahrheit zum Siege zu verhelfen und den zurückgelassenen Opfern ihrem unmöglichen Schicksal zu überlassen. Ein Versagen auf ganzer Linie.

Die Kommission gibt zu bedenken, dass diese mutige und wichtige Thematisierung von Polizeiarbeit den Zuschauern zwar einen Einblick in die geschlossene Gesellschaft der Justiz zu geben vermag und damit auch einen wichtigen Beitrag zur Demokratisierung und Kontrolle von Polizeiarbeit leistet. In der dargestellten Weise gelingt es jedoch nicht, eine wirkliche Debatte über Legitimität, Sollen und Können von polizeilicher Ermittlungstätigkeit als innerer Widerstand gegen die Unmöglichkeit dieses System bei den Zuschauern zu erzeugen. Die Konsequenzlosigkeit bei amtlicher Rechtspflichtverletzung, die Selbstverständlichkeit, mit der polizeiliche Gesetzesübertretung unter den Teppich gekehrt wird und die Lösung: »Wer so abscheuliches tut, dem muss gleiches wiederfahren!«, sorgen eher dafür, dass der Zuschauer sich damit abfindet. Wenn dieses fortgesetzte Unrecht wirklich Polizeiarbeit sein soll, dann muss mensch sich wohl damit abfinden, dass, wer Täter finden will, auch Opfer hinnehmen muss.

Nicht nur die Kommission weiß, dass dies weder der Polizeiarbeit in Deutschland gerecht wird noch für die Aufklärung der Zuschauer, was immer auch Aufgabe des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sein muss, geeignet sein kann. Lösungswege gibt es immer und der Mensch kann sich entscheiden. Dies zu thematisieren, notfalls auch gegen die Sympathieträger, wäre mit Blick auf die Quoten vielleicht noch mutiger gewesen, geboten wäre es allemal.

Strafbarkeit der Beteiligten:
- dauernde Vernehmung von Verdächtigen ohne Belehrung
- verbotene Vernehmungsmethoden
- Nötigung im Amt
- Körperverletzung im Amt
- Strafvereitelung im Amt
- uneidliche Falschaussage
- Verstoß gegen Dienstvorschriften
- Verstoß gegen Datenschutzbestimmungen / Informationelle Selbstbestimmung

Sonstiges:
- Verstoß gegen gesunden Menschenverstand und Tarifvertragsbestimmungen