Tatortkontrollkommission

unabhängige Kommission zur Untersuchung und Kontrolle der Medialisierung und Visualisierung von Rechtswirklichkeit am Beispiel der ARD-Produktionen "Tatort" und "Polizeiruf 110"

Donnerstag, 9. Oktober 2014

Keine „wahre Liebe“, aber echte Phantombilder

oder: Warum der Kölner Tatort schon 2001 die Identität des NSU offenbarte


Wie wir der Fachpresse (top.de | Deine Stars. Deine Meinung) entnehmen konnten, wurde im Kölner Tatort „Wahre Liebe“ vom 28. September 2014 (Erstaustrahlung) ein Phantombild aus einem realen Mordfall verwendet. Das Bild stammte aus Ermittlungen, die im Jahr 2011 wegen eines Gewaltverbrechens an einer Studentin geführt wurden und bis heute nicht erfolgreich abgeschlossen werden konnten. Das Bild wurde von einer Journalistin der Hannoverschen „Neuen Presse“ wiedererkannt, die ihre Entdeckung sofort getwittert hatte. An der Glaubwürdigkeit der Information hegen wir ebenso wenig Zweifel, wie wir sie überprüfen können.

Eine Sprecherin des WDR räumte das „Versehen“ gegenüber der Nachrichtenagentur spot on news ein: „Laut zuständiger Produktionsfirma Bavaria Fernsehproduktion (ehemals Colonia Media), wurde für das im Film gezeigte Foto eine Vorlage aus dem Internet verwendet. Es war nicht bekannt, dass es sich bei dieser Phantombild-Vorlage um ein in einem realen Ermittlungsverfahren benutztes Bild handelt.“

Allem Anschein nach war dieser Fauxpas kein Einzelfall bei der Firma Colonia Media: In der Folge „Bestien“ (produziert 1998, ausgestrahlt 25.11.2001) kam ausgerechnet ein Fahndungsfoto des NSU-Terroristen Uwe Mundlos zum Einsatz. Eine Sprecherin der Produktionsfirma sagte „Spiegel Online, eine Praktikantin habe eine fiktive Akte aus Archivmaterial freihändig zusammenkopiert und  Mundlos für einen Mitarbeiter der Film-Crew gehalten. Übrigens eine Tatortfolge, die auch so schon für reichlich Kontroversen sorgte: Ein Mädchen wird vergewaltigt und ermordet, die Mutter bringt den Täter um, Ermittler Max Ballauf vernichtet ein Beweismittel, so dass der Frau eine Mordanklage erspart bleibt. Dazu Spiegel Online (13.09.2012):
„Bedenklich“ und „heikel“ nannten Medienwächter und Polizeivertreter die Darstellung von Lynchjustiz unter Mithilfe der Kommissare, der WDR hatte mit „Bestien“ für Diskussionen gesorgt. Vielleicht auch deshalb wurde die Folge bisher vergleichsweise selten wiederholt, zuletzt im Mai 2011. 
Das Foto von Mundlos liegt hier in einer Akte des BKA über Sexualverbrecher ganz oben auf. Das Schwarzweißbild war am 20. Februar 1998 kurz nach dem Untertauchen des Trios vom LKA Thüringen veröffentlicht worden. Das LKA fahndete damals nach Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe wegen „Vorbereitung eines Sprengstoffverbrechens im Bereich Jena“. Spiegel Online vermutete dahinter noch einen bemerkenswerten Zufall: 
Als „Bestien“ erstmals ausgestrahlt wurde, sollen Böhnhardt und Mundlos bereits mit dem Morden begonnen haben: Vier türkischstämmige Kleinunternehmer wurden zwischen September 2000 und August 2001 erschossen. Wer dahinter steckte, lag damals noch im Dunkeln, dass einer der mutmaßlichen Täter in einer der beliebtesten Sendungen der Deutschen zu sehen war, bleibt ein bemerkenswerter Zufall.
Oder auch nicht: 2004 tauchten die Fahndungsbilder des BKA von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt in der ZDF-Serie „Küstenwache“ auf – in einem (dem Fahndungsaufruf des LKA Thüringen nachempfundenen) Aktenvorgang mit der Aufschrift: „Vorbereitung von biologischen Kampfstoffen“. Weil Rechtsterrorismus aber kein Thema war, dienten die Konterfeis der NSU-Mörder ausgerechnet für die Fahndung nach einer radikal islamistischen Gruppierung („RIG“): Der Mann mit dem Gesicht von Böhnhardt wurde in der Episode verdächtigt, als Bundeswehrsoldat Giftfässer aus einem Bundeswehrdepot entwendet und an die Terrorgruppe übergeben zu haben.

Mit der Wochenzeitung der freitag (die das schon am 15.09.2012 tat) fragen wir uns nun:
„Die reale Fahndung nach dem echten Trio wegen des Bombenbaus endete übrigens 2003. Selbstverständlich kann niemand ausschließen, dass der Thüringer Fahndungsaufruf in irgendwelchen Archiven fleißiger Medienschaffender schlummerte, die Herkunft der Geburtsdaten von Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe bleibt jedoch schleierhaft. Weder auf dem LKA Plakat noch in Presseberichten wurden diese erwähnt, sondern maximal das Alter der Gesuchten.“ 
Da bleibt uns nur noch hinzuzufügen: Und das von unseren Gebühren…und Steuergeldern.